Raphael

Migration als Privileg und Herausforderung

Ich hatte das Privileg, legal nach Deutschland zu kommen – mit einem Stipendium für meinen Master. Ich flog mit dem Flugzeug ein, während andere Menschen unter völlig anderen, oft traumatischen Umständen hierher gelangen. Das prägt ihre Erfahrungen auf eine Weise, die ich nicht vergleichen kann. Migration ist nie nur eine Geschichte.

Nach meinem Studium habe ich mich selbstständig gemacht, doch dafür musste ich eine Sondergenehmigung beantragen – eine Möglichkeit, die ich nur durch den Tipp einer anderen Migrantin kannte. Solche Informationen sind entscheidend, doch oft schwer zugänglich.

Kindheit und Herkunft

Ich bin auf dem Land aufgewachsen, umgeben von Hügeln und viel Grün. Meine Familie besaß nicht viel, aber wir bauten unser eigenes Essen an – Kartoffeln, Tomaten, Mais, hielten Schweine, Kühe, Hühner. Die Natur war mein Rückzugsort und ich konnte stundenlang Wasser, Flüsse, Tiere und Vögel betrachten, besonders als meine Mutter nach einem Unfall mit meinen Schwestern in die Stadt ziehen musste und ich bei meinen Großeltern lebte. Es war eine Mischung aus Einsamkeit und Freiheit.

Der Neustart in Deutschland

Als ich hier ankam, hatte ich einen mittleren Koffer, einen kleineren mit Büchern und Notizheften – und eine Menge Hoffnung. Es war ein Sprung ins Ungewisse. Ohne Familie in Europa wusste ich, dass mein Leben sich radikal verändern wird. Ich suchte bewusst den Kontakt zu anderen Migrant:innen, schloss Freundschaften mit Menschen aus Marokko, der Ukraine, Russland. Mit der einzigen deutschen Person in unserer WG fiel es mir schwerer – wir hatten einfach unterschiedliche Perspektiven.

Zuhause

Zuhause ist kein fester Ort. Es ist ein Gefühl — eine Mischung aus Vertrautheit, Verbindung und Geborgenheit. Menschen, Orte und Erinnerungen weben dieses Gefühl zusammen. Ich könnte überall auf der Welt sein, solange diese unsichtbare Verbindung da ist, fühle ich mich zu Hause.

Bürokratie als System der Kontrolle

Mein erster wirklicher Kontakt mit der Macht von Papieren kam, als ich mein Visum beantragen musste. Plötzlich wurde mein Leben von Dokumenten bestimmt, die mir Rechte gewährten – oder eben nicht. Selbst mit einem gültigen Visum bleibt man oft in einer Grauzone. Migration ist ein permanenter Verwaltungsakt.

Die Bürokratie frisst Zeit und Energie. Sie ist ein System von Hierarchien, ein Überbleibsel kolonialer Kontrolle. In Deutschland lernt man schnell: Information ist Macht. Wer nicht weiß, welche Anträge wann gestellt werden müssen, bleibt stecken. Die Komplexität ist kein Zufall – sie hält Menschen klein.

Bürokratie ist wie…

eine Mücke, die dich nie in Ruhe lässt — es summt, nervt und lässt dich nicht schlafen.

Unsichtbare Grenzen und strukturelle Barrieren

Es gibt nicht nur physische Grenzen, sondern auch soziale. Die Grenze meiner Hautfarbe, meines Akzents, meiner Herkunft. Egal wie gut ich die Sprache spreche – mein Akzent wird mich immer verraten. Ich werde unterschiedlichen Nationalitäten zugeordnet, bevor Menschen überhaupt wissen, wer ich bin. Woher kommst du? Wann gehst du zurück? Diese Fragen sind hier Standard.

Deutschland sieht sich selbst nicht als Migrationsgesellschaft. Es gibt die Erwartung, sich anzupassen, sich „zu integrieren“. Aber was bedeutet das? Bedeutet es, Bier zu trinken? Christlich zu sein? Die eigene Vergangenheit zu vergessen? Integration ist oft kein Miteinander, sondern ein unsichtbarer Zwang zur Assimilation.

Eine Welt ohne Grenzen?

Wenn ich die Wahl hätte, würde ich Freizügigkeit für alle ermöglichen. Niemand sollte aufgrund seiner Herkunft eingeschränkt sein. Migration ist kein Problem – sie war schon immer Teil der Menschheitsgeschichte. Der Klimawandel wird die globalen Bewegungen noch verstärken, ob Europa das akzeptieren will oder nicht. Doch anstatt gerechtere Systeme zu schaffen, klammert sich der Westen an seine Privilegien.

Ein Pass ist kein neutraler Gegenstand – er ist ein Instrument von Macht. Er entscheidet, wer sich frei bewegen darf und wer kontrolliert wird. Ich träume von einer Welt, in der diese Dokumente keine Rolle mehr spielen. Wo Menschen nicht danach bewertet werden, in welchem Land sie geboren wurden. Migration sollte kein Ausnahmezustand sein, sondern ein selbstverständlicher Teil des Lebens.