Luciano

Erdbeben, Berge und das Gefühl, das Meer sehen zu müssen

Ich komme aus Chile. Mein Name ist Luciano.

Ich bin Schauspieler und studiere derzeit in Deutschland.

In meiner Kindheit erschien mir alles normal – bis ich hierherkam und merkte, wie anders mein Heimatort war. Die Luft, die Sonne, die Straßen – alles war in Chile intensiver. Mein Großvater baute unser Haus selbst, obwohl er keine Erfahrung hatte. Es stand fest, trotz der Erdbeben, die mindestens einmal im Monat die Erde erzittern ließen.

Ich erinnere mich an mein erstes großes Erdbeben. Ich war allein mit meiner Mutter, hielt sie fest, weil sie so dünn war, und gleichzeitig den Türrahmen. Zuerst denkt man an Gegenstände – den Fernseher, das Regal – aber wenn das Erdbeben nicht aufhört, hält man sich an Menschen fest. Das ist etwas, das mir hier auf seltsame Weise fehlt.

In Chile ist man nie weit vom Meer entfernt. In Stuttgart hatte ich anfangs das Gefühl, irgendwann müsse ich am Horizont das Wasser sehen – ein Irrtum, an den ich mich erst gewöhnen musste. Die Straßen hier sind nicht wie in Santiago, wo alles in einem Raster angelegt ist. Dort kann man an bestimmten Tagen beobachten, wie die Sonne eine Straße entlangwandert und genau auf der anderen Seite untergeht – ein Erbe indigener Stadtplanung.

Fremdsein und Zugehörigkeit

In Deutschland fühle ich mich oft wie ein Außenseiter. Manchmal wegen der Blicke, manchmal wegen Kleinigkeiten. Was mich wirklich stört, ist die Art, wie Europäer mich oft infantil behandeln oder exotisieren. Jemand sagte mir einmal, dass Menschen außerhalb Europas nicht den Komfort bräuchten, den Europäer gewohnt sind – weil sie gelernt hätten, glücklich zu sein. Eine seltsame Mischung aus Herablassung und Romantisierung.

Zugehörigkeit kam für mich durch Freundschaften. Es ist, wenn  man mit Menschen kommunizieren kann, ohne viele Worte zu brauchen, wenn meine Erinnerungen und Gedanken einen Platz haben.

Was bedeutet Zuhause?

Ich denke nicht viel über den Begriff nach.

Ich glaube, ich könnte überall ein Zuhause aufbauen.

Als ich nach Deutschland flog, wusste ich: Meine Wohnung in Chile ist nicht mehr mein Zuhause. Selbst wenn ich zurückkehre, wird sie es nicht mehr sein. Die ersten Monate waren jedoch schwieriger, ich hatte keine Familie, keine engen Freunde hier. Jetzt habe ich sie, und das macht mich glücklich.

Was ich mitgenommen habe

Ich nahm praktische Kleidung mit, meine wärmste Jacke. Ein Parfum, das mein Bruder mir geschenkt hat. Ein kleines Päckchen Kaffee von einem Freund, damit mein erster Kaffee in Deutschland gut schmeckt. Zeichnungen meiner Freundin. Die Uhr meines verstorbenen Großvaters. Ein paar Medaillen, die mir meine Großmutter gegeben hat. Und dann noch ein paar kleine Erinnerungen und Geschenke von Freunden, wie Fotos. Es war schön. Den Rest habe ich bei meiner Mutter gelassen.

Wenn es keine Bürokratie gäbe…

Dann gäbe es keine Visa. Jeder könnte seinen Platz finden, unabhängig davon, wo er geboren wurde oder welchen Pass er hat. Vielleicht wäre Bürokratie auch nicht das Problem, wenn sie nicht so viel mit Privilegien zu tun hätte.

könnte Menschen schneller dort ankommen lassen, wo sie längst hingehören.

Etwas realistischer gedacht: Man könnte vieles digitalisieren. Man könnte Formulare vermeiden. Man könnte Menschen schneller dort ankommen lassen, wo sie längst hingehören.

*Das Interview wurde in englischer Sprache geführt.